Kunst Empfinden Zwischen Malerei und Fotografie

Tessa Verder erschafft mit ihren Werken durch die Fusion von Gemälden alter Meister und eigener Fotografien neue Orte, doch ihre Kunst ist auch immer das Einlassen auf etwas Ursprüngliches. Wenke Röschmann, Praktikantin am Museum Kunst der Westküste, hat mit der niederländischen Künstlerin über ihre Arbeit gesprochen – diese ist geprägt von weiten Reisen und der Rückkehr zu sich selbst.

 

Du warst bereits 2019 zu Gast in unserem Artist-in-Residence-Programm.

 

Genau, im Frühling und Herbst. Die Aufteilung in zwei Jahreszeiten hat einen Riesenunterschied gemacht. Die Motive und Farben, die man im Frühjahr vorgefunden hat, waren im Herbst ganz andere.

 

Wie wählst du die Orte für deine Fotografien aus? Schweben dir schon immer bestimmte Ziele vor?

 

Ja, man hat dann Bestimmtes im Kopf. So kam ich zum Beispiel nach Föhr, weil ich gerade mit der Serie Meeres-Landschaften angefangen hatte. Außerdem suche ich oft nach Orten, wo man den Einfluss durch Menschenhand nicht wiedererkennen kann.

 

Ich hatte eine Zeit, da wollte ich einfach Felsen und Berge sehen. Dann waren es Bäume. Das ist das Schöne an dieser Arbeit, dass man mit dem eigenen Gefühl mitgehen kann. Erst dann, wenn man das Bedürfnis hat, am Meer zu stehen, ist man auch bereit ist zu erfahren, was es aussagt.

 

Du wohnst in Berlin. Ist das ein bewusst gewähltes Gegenstück, zu der Stille, die sich in deinen Werken findet?

 

Ja, aber ich brauche die Natur. Weil ich eben dort diese starke Verbindung spüre. In der Natur sinkt man einfach in sich selbst noch ein Stückchen tiefer und kommt dem Ursprünglichen näher. In der Stadt ist man immer mehr im eigenen Kopf und in der Natur fährt man runter.

 

Tessa Verder, breeze of light 6, 2020, © courtesy of the artist / VG Bild-Kunst, Bonn 2024

 

Du hast auch schon Porträts fotografiert. Ist der Unterschied zur Landschaftsfotografie ein großer?

 

Jein. Mit der Porträtfotografie habe ich angefangen. Als ich nach Berlin gezogen bin, hatte ich das Gefühl, das ging nicht mehr. Dann habe ich eine Serie und Reise gemacht, wo ich Menschen in der Landschaft fotografiert habe. Und die Menschen sind dann immer kleiner und kleiner geworden.

 

Dann kam ich in eine Phase, in der ich einfach komplett losgelassen und versucht habe alles fortzuschicken. Ich war gerade in Berlin und war auf der Suche nach etwas Neuem. Wie macht man das dann? Besucht man einen neuen Ort, ein neues Land…

 

Schließlich bemerkte ich, dass die Natur so viel kräftiger ist als ich, sie versucht bereits alles in eine Richtung zu bewegen. Dann habe ich einfach gedacht: Lass los. Deswegen bin ich etwafür eine Fotografie in den Baum geklettert, mit dem Gefühl, okay, jetzt lass ich los. Und dann kam ich nach Hause und das Objektiv und das Bild waren durch Sand beschädigt. Ein halbes Jahr später bin ich tatsächlich wieder hingefahren und habe eine ganze Serie daraus gemacht, um überall die Kraft der Natur und den Menschen festzuhalten.

 

Ein anderes Bild zeigte zuerst auch einen menschlichen Körper und dann hing es im Atelier und ich dachte: Aber das ist doch schon ein Körper. Da steckt so viel drin, mehr brauche ich nicht.

 

In dem Moment dachte ich: Fotografien von Bäumen sind auch Porträts. Sie sagen auch viel aus, sind Körper und erzählen eine Geschichte. Das war für mich der natürliche Übergang zur Naturfotografie. Und dann habe ich 15 Jahre lang kein Porträt mehr machen können.

 

Neben der Fotografie, sind auch Gemälde Thema deiner Arbeit. Wie nah fühlt man sich da den Maler*innen?

 

Es ist nicht so, dass ich dann zu einer Kunsthistorikerin werde. Aber es ist noch immer eine Ehre, dass ich die Gemälde nutzen und bearbeiten darf. Ich fühle mich den Gemälden und den Künstler*innen dadurch sehr nah. Nicht unbedingt persönlich…

 

Aber man macht sich die gleichen Gedanken. Zur Komposition, etwa.

 

Genau.

 

Kann man also sagen, dass durch die klassischen Gemälde und die zeitgenössischen Fotografien, die Vergangenheit und die Gegenwart zusammenarbeiten?

 

Das ist im Grunde genommen das, was ich immer wieder versuche zu schaffen. Auch, um alles um uns herum besser zu verstehen. Ich suche nach dem Gefühl, dass in dem Zusammenbringen dieser Elemente, irgendwo eine Lösung liegt, oder eine Antwort oder Einheit.

 

Hast du Lust, uns zu zeigen, wie eines deiner Werke entsteht? Was der Prozess zum finalen Projekt ist?

 

Es fängt nicht unbedingt bei den Gemälden an, sondern eher bei einem Gefühl. Ich brauche einfach einen Felsen, einen Baum oder Weite. Also ob es bei einem Gemälde anfängt oder bei der Fotografie, das kann ich nicht so sagen, das fließt dann eher mit der Empfindung zusammen.

 

Ich stehe etwa irgendwo in der Landschaft und denke: Ja, das ist es, das kommt diesem einem Gemälde ganz nah. Das heißt aber nicht, dass ich dann auch das Gemälde verwende, es soll auch keine Kopie sein.

 

Das habe ich hier auf Föhr öfter erfahren, dass ich dachte: Wow, das ist ähnlich zum Gemälde. Weil man eben so nah dran ist [an den Orten, an denen die Künstler*innen gemalt haben – Anm. d. Verf.]. Das finde ich dann uninteressant, es soll schließlich ein eigenständiges Werk werden.

 

© Museum Kunst der Westküste

 

Durch die Fusion der Fotografie mit dem Gemälde entsteht ein komplett neuer Ort. Findet man den Platz, an dem das Foto entstanden ist, darin noch wieder?

 

Ich erinnere mich eigentlich noch an alle Orte. Aber manchmal, wenn ich das Endergebnis sehe, dann fühlt es sich für mich stimmiger an als das Original-Foto. Nach einer Weile habe ich das Werk so verinnerlicht, dass ich, wenn ich das Original wiedersehe, denke: Dieser blaue Himmel darüber passt gar nicht mehr. Das ist die Landschaft, die nicht stimmt.

 

Kannst du uns nach diesem Einblick in deine vielfältige Arbeit einen Ausblick auf dein nächstes Projekt geben, falls dir da schon etwas vorschwebt?

 

Das ist schwer auszudrücken, weil ich das selbst noch nicht genau weiß. Ich habe das Gefühl, dass es ins Kleine geht. Nicht enger, aber vom Großen, auch von der bösen, weiten Welt, mehr ins Intime, in das Sichere.

 

Aber, wie schon gesagt: Viele Zutaten habe ich schon. Jetzt müssen diese nur noch zusammenarbeiten, gekocht werden. Ich muss das Rezept finden.

 

Das ist ein schönes Schlusswort. Vielen Dank.