Priele, die wie Adern durch das Watt mäandern. Wellen, die sich als gleichmäßige Parallelen über die farbintensive Landschaft erstrecken und unbewohnte Inseln, die in ihrer Form an einen Delfin oder andere Meeresbewohner erinnern. Der mehrfach ausgezeichnete Fotograf Peter Hamel zeigt in der Ausstellung 600 Fuss über NN - Das Wattenmeer. Fotografiert von Peter Hamel die Nordseeküste aus einer ungewohnten Perspektive, von oben.
Amelie Firse, Praktikantin im Museum Kunst der Westküste, hat im Februar 2024 mit dem Fotografen darüber gesprochen, wie seine Leidenschaft für die Flugaufnahmen entfachte und warum es ihn nicht mehr loslässt.
Peter Hamel, Artist Talk in der Ausstellung „600 Fuss über NN - Das Wattenmeer. Fotografiert von Peter Hamel", Foto: Lukas Spörl
Das mit den Flugaufnahmen ist aus Zufall entstanden. Ich habe für einen Kunden Landschaftsaufnahmen gemacht. „Mensch, wir könnten doch mal Flugaufnahmen machen. Das wäre an der Ostsee vielleicht ganz schön.“ Da kam der Kunde drauf. Und das habe ich gemacht, total spannend.
Damit ging es dann los, dass ich solche Aufnahmen gemacht habe. Das war sehr beeindruckend für mich. Es gab da diesen einen Flug, den werde ich nie vergessen. Ich bin mit einem geflogen, der vorher Agrarpilot war, denn die können ziemlich gut fliegen. Der war emotional so berührt davon, als ich mit ihm geflogen bin. Das muss 1993 gewesen sein, kurz nach der Wende. Der Pilot hat vorher seine Agrarflüge gemacht und durfte da, wo wir dann geflogen sind, vorher gar nicht fliegen. Dann sind wir die Grenze einmal abgeflogen.
Es war also für euch beide ein besonderes Erlebnis?
Ja, das war super. Wir haben einen Riesenspaß gehabt. Er war total begeistert und ich auch.
Ja klar! Und das hat dich nicht mehr losgelassen.
Ne, das war eine völlig neue Dimension. Dann bin ich auf eigene Faust über die Nordsee geflogen. Immer mal wieder, vielleicht zwölf Mal und auch nicht immer fünf Stunden, sondern mal eine Stunde, mal drei Stunden.
Es hängt wahrscheinlich auch davon ab, was du so findest. Fliegst du mit einem bestimmten Ziel los oder mit einem Plan?
Ich habe immer ein ungefähres Ziel. Ich wollte die ganze Küste mal gesehen haben und das nimmst du dir in Teilabschnitten vor. Das hängt davon ab, was du findest, wie das Wetter ist, wie die Gezeiten sind. Und wenn du drei Stunden Flugaufnahmen gemacht hast, dann bist du auch alle. Ich habe echt viel erlebt. Tolle Sachen, tolle Situationen und auch tolle Piloten. Einer der besten war ein ehemaliger Kampfflieger der NVA. Mit dem bin ich bei eisigen Temperaturen geflogen. Das war schwierig, weil es oben wärmer als unten war und es dann technischen Probleme gab. Aber er hatte das voll im Griff. Total klasse. Und das ist klasse, wenn du unten die vereiste Ostsee siehst. Wie Kristalle. Das war einfach irre!
Es ist also immer ein kleines Abenteuer.
Ja, das ist es.
Peter Hamel, Steenack bei Föhr 2012, © Peter Hamel Fotografie
Geht es dir, wenn du die Flugaufnahmen machst, um die Erfahrung, um dieses Erlebnis des Fliegens oder um das Foto an sich?
Es geht um das Foto! Das Abenteuer kommt dazu, primär geht es aber ums Foto. Ich will es mal so sagen: Wenn ich jetzt ein Abenteuer hätte, aber keine guten Bilder, wäre ich frustriert. Aber wenn ich tolle Bilder und kein Abenteuer hätte, wäre mir das egal. Hauptsache die Bilder sind gut. Das ist das wichtigste und das merkst du beim Fliegen. Wenn du Fotos machst und das Gefühl hast: „Oh, die sind jetzt richtig cool“. Das hat man im Laufe der Zeit raus. Wenn ich ein Shooting mit 3000 Bildern gemacht habe, weiß ich genau, ob da eins bei ist, was ich super finde. Das ist Erfahrung.
Du fliegst jetzt seit über 30 Jahren.
Ja, seit 1993.
Ich kann mir vorstellen, dass der erste Flug anders war als der letzte, den du gemacht hast. Was hat sich in der Zeit verändert? Hat sich deine Einstellung zum Fliegen verändert oder bist du weniger aufgeregt?
Ne. Da hat sich gar nichts verändert. Das Einzige, was sich verändert hat ist, dass es weniger gefährlich geworden ist. Das liegt daran, dass ich nur noch mit Berufspiloten fliege. Insofern erlebe ich nicht die Situation, dass das der Pilot zu mir sagt: „Wir haben nicht mehr so viel Benzin. Sag mal, siehst du ‘n Flugplatz irgendwo?“.
Es ist wahrscheinlich gut, wenn du jemanden hast, dem du vertrauen kannst.
Ja! Ich habe ein, zwei Chaoten gehabt, aber auch supergute Piloten, also Profis. Die fand ich richtig, richtig gut. Wenn ich jetzt in einen Flieger steige, bin ich immer noch erwartungsfroh.
Das, was sich aber immer verändert, ist das Watt.
Genau, das Watt ist immer anders. Das haben mir heute auch zwei Frauen gesagt, die hier auf Föhr groß geworden sind. Ich finde das Watt nie wieder so vor, wie es mal war.
Das lässt sich auch in der Ausstellung beobachten. Zum Beispiel die Insel Lütje Hörn die von oben teilweise so aussieht wie ein Delfin. Du kannst immer wieder drüber fliegen und es sieht jedes Mal ein bisschen anders aus.
Genau. Das ist immer wieder neu, immer wieder anders.
Du hast bei einem Gang durch die Ausstellung über den Perspektivwechsel gesprochen.
Ich finde es faszinierend, wenn man andere Perspektiven einnimmt, mal unabhängig von Flugaufnahmen. Ein Beispiel: Ich habe Fotokurse für Kinder gegeben. Ich sagte: „So jetzt passt mal auf, wir gehen in ein Zimmer. Und jetzt überlegt mal, wie viele verschiedene Perspektiven es hier gibt.“ Unendlich viele. Und ich kann sagen, 90% der Bilder sehen gleich aus. Da geht keiner unter den Tisch. Es kriecht keiner oben in die Ecke. Aber das sind mögliche Perspektiven. Wenn man mit den Perspektiven spielt und neue Perspektiven probiert, ist das viel spannender. Das ist etwas Neues.
Grundsätzlich finde ich es beim Fliegen besonders, dass man etwas, was man üblicherweise vom Erdboden sieht, plötzlich aus einer anderen Perspektive betrachtet. Das sieht möglicherweise komplett anders aus, als man es erwartet, weil man sich das gar nicht vorstellen kann. Das ist dieser überraschende Moment. Eine völlig neue Welt, die sich auftut, sodass du plötzlich etwas siehst, wo du sagst: Boah, wie schön ist das denn? Das ist erhaltenswert!“. Das siehst du vielleicht am Boden gar nicht.
Die Leute haben ihre Vorstellung im Kopf, aber gerade, wenn man es anders macht, zeigt man, wie toll es ist. Das ist die Quintessenz und die Voraussetzung dafür, dass Menschen etwas verändern und sich engagieren. Ich muss was für den Umweltschutz tun, wenn ich sehe, wie unglaublich das Wattenmeer ist. Dann versteht man auch, warum es Weltnaturerbe geworden ist.
Peter Hamel, Lütje Hörn, östlich von Borkum 2011, © Peter Hamel Fotografie
Du hast erwähnt, dass du deine Bilder kaum bearbeitest. Du ziehst höchstens mal den Kontrast an, sonst nichts?
Genau, ich ziehe den Kontrast an. Ich habe bei ein oder zwei Aufnahmen die Schärfe nachbearbeiten lassen.
Die Farben veränderst du nicht?
Es kann sein, dass die Farben, bedingt durch diesige Wetterlagen, teilweise nicht so brillant sind. Wenn ich die Kontraste anziehe, kann ich das ein bisschen eliminieren. Dann krieg ich diese Suppe da weg, dann wird‘s knackiger. Aber grundsätzlich mache ich nichts an den Farben. Ich könnte natürlich, völlig neue Farben kreieren. Das sieht aber komisch aus, finde ich.
Die Natur gibt dir schon ganz viel.
Klar, da brauchst du nichts mehr machen. Die Natur gibt dir so viel, da muss man nur rausgehen.
Was stellst du dir für die Zukunft vor? Möchtest du weiterhin fliegen?
Ja! Ich könnte mir vorstellen, dass ich die Strecke noch um ein paar Aufnahmen aus dem holländischen und dänischen Raum bereichere, oben bis nach Fanø. Ich fliege auf jeden Fall bis nach Skagen. Dann hat man theoretisch die ganze Nordsee. Das wäre schon toll, wenn es nicht ausschließlich das deutsche Wattenmeer ist, sondern auch das dänische und holländische. Das wäre dann richtig rund.
Du möchtest also auf jeden Fall weiter machen?
Ja, auf jeden Fall! Ich habe so viele Projekte im Kopf. Ich möchte als nächstes ein Buch machen, damit die Leute auch was nachlesen können.
Vielen Dank für das Gespräch!
Ausstellung „600 Fuss über NN - Das Wattenmeer. Fotografiert von Peter Hamel", Foto: Lukas Spörl