Arne Kavlis „Hafen in Sørlandet“ (n. d.) gehört zu den neueren Schätzen im Museum Kunst der Westküste und wird erstmalig in unserer Ausstellung Auf das große Westmeer schauend – Der Kulturraum Nordsee im Wandel gemeinsam mit seinen sich bereits länger in der Sammlung befindenden „Figuren auf einem Stein an der Küste“ präsentiert.
Kavli (* 1878 in Bergen, † 1970 in Oslo) war Zeitzeuge der interessantesten Kunstepochen, Stilrichtungen, technischen Neuerungen und natürlich auch sozialpolitischen Umbrüche. Viele Einflüsse anderer Künstler*innen und berühmter internationaler Werke lassen sich in seinem Œuvre wiederfinden. Gemeinsam möchten wir die Entwicklung von Kavlis Kunst in den Blick nehmen und werden hierfür begleitet von Objekten aus dem Museum Kunst der Westküste. Vertreter unserer Sammlung wie Peder Severin Krøyer, Otto Heinrich Engel, Max Liebermann und Edvard Munch illustrieren anschaulich, welche Strömungen Kavlis Kunst beeinflusst haben.
Ein norwegischer Hafen in zarten Pastelltönen
In seinem Gemälde zeigt Kavli uns ein ganz und gar ungewohnt anzusehendes Skandinavien: In den heitersten und sommerlichsten Pastelltönen malt er einen Hafen in Südnorwegen. Damit widersetzt er sich der allgemeinen Assoziation von majestätischen Gesteinsformationen in Graubraun, eisigen Gletschern und mystischen Fjorden.
In heller und leichter Atmosphäre gliedert er sein Hafenbild in mehrere horizontale Bildeinheiten. Durch die charakteristisch nordisch-roten Holzhäuschen werden wir, wenn auch etwas klischeehaft, nach Norwegen versetzt.
Die windstille See zwischen den Landzungen ist in hell- und dunkelblauen Tönen und mit einem pastosen, kurzen Pinselduktus gemalt. Das Wasser ist ruhig dargestellt, bekommt durch die Pinselstriche jedoch eine lebendige Oberfläche. Auf dem Wasser schwimmen Boote, vor allem Segelbote, welche geometrisch und zweidimensional wirken. Sie spiegeln sich in der glatten Wasseroberfläche, vor allem das weiße Segel des Bootes am linken Bildrand leuchtet regelrecht. Seine Spiegelung reicht bis zum gegenüberliegenden Ufer, an dem sich die betrachtende Person befindet. Diese untere Küstenlinie biegt sich geschmeidig zwischen Land und Wasser und kontrastiert durch ihren Schwung zu den geraden Linien der Häuser und der Boote im Hafen.
Auf dem Weg zu Licht und Luft
Der in eine Schauspieler*innenfamilie aus Bergen geborene Arne Kavli debütierte 1896 in einer staatlichen Kunstausstellung in Kristiania, dem heutigen Oslo. Kavlis frühe Werke zeigen eine feine Pinselführung. Sie sind geprägt von der einnehmenden Dunkelheit der akademischen Malerei und zeigen eine dumpfe Melancholie. Die Bildfiguren wirken unnahbar und entrückt, sie erheben sich kaum aus den Schatten, die sie umgeben.
Ein Stipendium ermöglichte es Kavli, Norwegen für seine künstlerische Ausbildung zu verlassen.
1897 war Kavli an der Kunstakademie in Antwerpen eingeschrieben. Bereits ein Jahr später wurde der junge Kavli in Kopenhagen an der privaten Kunstschule Kunstnernes Frie Studieskoler von Peder Severin Krøyer und Laurits Tuxen unterrichtet. Krøyer und Tuxen gelten als bedeutende Maler der Skagener Künstlerkolonie, deren Werke einen Sammlungsschwerpunkt in der Sammlung Museum Kunst der Westküste bilden. Die Skagenmaler zeichnen sich durch eine besondere Farbigkeit in ihren Bildwerken aus: bunte Farbexplosionen zwischen romantisch-rosigen Sonnenuntergängen, tiefblau-grollenden Gewitterwolken und der leuchtend gelben Wetterkleidung von Fischern und Seemännern.
Nach diesem Studium zog es Kavli in die Kunsthauptstadt der Welt: Paris. Die „Belle Époque“ war auf ihrem Zenit angekommen. Das Fin de Siècle „regierte“ die Stadt.
Und Paris pulsierte, denn am 13. Juli 1900 wurde die Weltausstellung eröffnet und neben den Länderpavillons auch die neusten Erkenntnisse im Ingenieur- und Industriewesen präsentiert: das Telegrafon (das erste Gerät zum Aufzeichnen von Sprache), Dampfautomobile und Kurzfilmaufnahmen der Stadt von den Gebrüdern Lumière, die uns bis heute zum Staunen bringen.
Das Fin de Siècle empfand den abbildenden Realismus als veraltet und so wurden Kunstrichtungen wie der Symbolismus und der Jugendstil „en vogue“, welche als Überwindung der scheinbar übermächtigen alten Stile gesehen wurden.
Kolorit und Pinselduktus Arne Kavlis änderten sich nun eindrücklich: Vor der Jahrhundertwende, in seiner Jugend in Norwegen, malte er stille, dunkle Porträts. Diese wichen nun Kaffeehausszenen in Paris à la Édouard Manet und Strandausflügen à la Max Liebermann in strahlenden Pastelltönen.
Kavli malte nun wie die großen Impressionist*innen, brachte kurze Pinselstriche mit viel Farbe direkt auf die Leinwand und kreierte hierdurch nicht nur lebendige Licht- und Schattenspiele, er modellierte auch durch Pigment und Bindemittel die Oberfläche der Leinwand selbst. Seine Bilder entwickeln eine eigene Bildtiefe, die dazu einlädt, sie genau zu erkunden.
Arne Kavli und Edvard Munch
Durch Kavlis Werk zieht sich diese bereits angesprochene Reduzierung der Fläche, ein Einfluss, welcher ebenfalls aus seiner Zeit in Paris stammte.
Im Paris um 1900 war die Kunst im wahrsten Sinne an jeder Hauswand zu entdecken: Die populäre Pariser Plakatkunst war eine Art der Gebrauchskunst, die sich hauptsächlich in Frankreich unter dem Eindruck des japanischen Farbholzschnitts entwickelt hatte. Die flächigen Farben, die starken Konturen und die Reduktion von Perspektive lassen sich nicht nur bei Kavli beobachten, sondern auch bei seinem berühmten Landsmann, Zeitgenossen und Bekannten Edvard Munch.
Besonders Kavlis Landschaftsbilder, welche zum größten Teil die südnorwegische Küste thematisieren, zeigen eine intensive, langjährige Beschäftigung mit dem Werk Munchs.
Munchs Werke zeigen häufig Strände, inspiriert von der flachen Steinküste von Åsgårdstrand am Kristianiafjord, Südnorwegen, wo Munch seit 1888 gerne die Sommer verbrachte. Diese geschwungenen Uferlinien sind der Austragungsort großer Gefühlsgewalten. Sie finden sich auch in Kavlis Gemälde „Ein Hafen in Sørlandet“. Auch die dort abgebildeten Spiegelungen der Segelschiffe auf der ruhigen See erinnern stark an Munch.
Munch war Kavli in seiner Entwicklung einige Jahre voraus. Er war in Paris vermutlich ebenfalls auf die Faszination für japanische Farbholzschnitte gestoßen und fertigte Arbeiten an, die den Weg für sein weltberühmtes Grafisches Werk ebnen sollten.
Die beiden Künstler waren nicht nur durch ihr Schaffen und ihre Herkunft miteinander verbunden: Kavli heiratete Tulla Larsen (zu sehen im Farbholzschnitt Mondschein I, von Edvard Munch), welche zuvor Munchs Partnerin gewesen war. Seit 1898 führten Larsen und Munch eine brisante Beziehung. Einen schockierenden Höhepunkt erreichte dieses wohl für beide Seiten unbefriedigende Hin- und Her mit einer körperlichen Auseinandersetzung 1902.
Im darauffolgenden Jahr verheirateten sich Tulla Larsen und Arne Kavli. 1911 ehelichte er Hildur Mønnich, doch es ist seine dritte Ehefrau, Thony Drude Isachsen, die uns vermehrt in seinem Spätwerk begegnet.
Die Jahre des Ersten Weltkrieges haben Kavlis Werk, ebenso wie das vieler Kunstschaffenden beeinflusst: Seine Farben verloren an Strahlkraft. Die Stimmung jedoch, die uns und seinen Bildfiguren am Strand begegnet, verändert sich nie. Kavlis Küste ist nicht – wie die von Munch – ein bühnenhafter Raum, der uns einzusaugen droht. Es ist ein ruhiger Ort, an dem wir verweilen möchten. Ein Ort, an dem die Damen ihre Sonnenhüte festhalten und sich die weißen Segel der Boote sanft in der Brise blähen. Kavli verspricht Leichtigkeit, Erholung und Zerstreuung.
Ein ewiges Sommeridyll
Von Anfang der 1930er-Jahre bis zu seinem Tod am 23. September 1970 in Oslo übernahm Kavli fast alle seine Motive aus dem Garten seines idyllisch gelegenen Skipperhauses in Rønnes bei Grimstad, Südnorwegen. Sein Œuvre schien vollständig isoliert von den geopolitischen Umbrüchen um ihn herum zu sein.
Wie schon die großen Impressionisten, wie Monet oder Liebermann vor ihm, wendet er sich in seinem Spätwerk nun ruhigen Garteninterieurs zu. In dieser Zeit malte er häufig seine Frau Thony, die uns in sommerlich entspannter Atmosphäre unter dem Sonnenschirm, auf der Gartenbank oder beim Mittagsschlaf gezeigt wird. Der Maler beschwört einen paradiesischen, endlosen Sommer: Es ist, als gäbe es auf der Welt nichts als wohlige Wärme, glitzerndes Wasser und duftende Rosen im Schatten der Gartenlaube.
In dieser späteren Phase war Kavlis Pinselduktus und Farbauftrag wieder kräftiger. Obwohl der Maler uns nach wie vor Norwegen in den buntesten Farben zeigte, verlor er diese gewisse Leichtigkeit, die seine Werke vor dem Ersten Weltkrieg ausmachte. Gemeint ist diese durchscheinende Luftigkeit, die uns Betrachtende in das Bild hineinlässt und uns einlädt, die wohlige Sommerwärme am Strand mit den „Figuren auf einem Stein an der Küste“ zu teilen.
Sara Nina Strolo, M. A. Wissenschaftliches Volontariat, Museum Kunst der Westküste
Abb. v.o.n.u.:
Arne Kavli, Ein Hafen in Sørlandet, n. d., Öl auf Leinwand, Museum Kunst der Westküste
Viggo Johansen, Die Fischverkäuferin, 1887, Öl auf Leinwand, 150,0 x 127,0 cm, Museum Kunst der Westküste
Peder Severin Krøyer, Anna Ancher und Marie Krøyer am Strand von Skagen, 1893, Öl auf Leinwand, 45,0 x 47,0 cm, Museum Kunst der Westküste © Collection Broere Charitable Foundation
Otto Heinrich Engel, Theaterpause (Berliner Staatsoper), n.d., Öl auf Leinwand, 34,5 x 45,5 cm, Museum Kunst der Westküste
Max Liebermann, An der See – Strandbild, Öl auf Leinwand, 1911, 63 x 74,5 cm, Museum Kunst der Westküste
Edvard Munch, Anziehung I, 1896, Lithografie, 48,3 x 35,5 cm, Museum Kunst der Westküste
Edvard Munch, Mondschein I, 1896, Farbholzschnitt, 41,1 x 46,5 cm, Museum Kunst der Westküste
Max Liebermann, Der Nutzgarten in Wannsee nach Nordosten, um 1929, Öl auf Leinwand, 40 x 50,5 cm, Museum Kunst der Westküste
Arne Kavli, Figuren auf einem Stein an der Küste, 1916, Öl auf Leinwand, 60,4 x 68,9 cm, Museum Kunst der Westküste
|