Sjoerd Knibbeler Mach dir ein Bild von der Zukunft

In Schweden wurde kürzlich eine Testreihe aus dem Bereich des Solar Geoengineerings gestoppt, welches sich mit Verfahren zur Abkühlung des Planeten Erde befasst. Der Vorfall zeigt, wie dicht der niederländische Fotokünstler Sjoerd Knibbeler am Puls der Zeit arbeitet. Es geht um weltweit virulente Themen, die das Überleben unseres Planeten Erde betreffen.

 

Unter dem Titel „Sjoerd Knibbeler. In Elements“ widmet das Museum Kunst der Westküste dem 1981 geborenen niederländischen Fotokünstler gegenwärtig seine erste museale Einzelausstellung in Deutschland. Bis zum 16. Januar 2022 wird darin eine umfassende  Auswahl von Arbeiten des Künstlers präsentiert, der programmatisch an der Schnittstelle von Naturwissenschaft, Technik und Kunst arbeitet. Knibbelers Werke sind ästhetisch überaus reizvoll und zugleich machen sie uns als Betrachter*innen durch ihre unkonventionelle Motivik überaus neugierig. Denn was genau zeigen sie eigentlich?

 

 

Sjoerd Knibbeler, In Elements (SSE-W), 2020

 

Grundsätzlich: Knibbeler interessiert sich intensiv für die Natur. Dabei geht er nicht abbildlich vor, sondern er fotografiert gerade das, was man für gewöhnlich nicht sieht: Dinge und Phänomene, die wie die Luft unsichtbar oder rasend schnell wie ein Meteorit sind. Möglicherweise fängt der Künstler auch das ein, was faktisch noch nicht einmal existiert – weil ihn interessiert, wie etwas aussehen könnte. Letzteres trifft auch auf seine Fotoarbeiten „In Elements“ zu, die im Sommer 2020 während seines Aufenthalts als Artist in Residence auf der Insel Föhr entstanden. In den teilweise bis zu lebensgroß angelegten Werken ragt regelmäßig der Fremdkörper eines schmalen, silberglänzenden Metallrohrs im Wattenmeer auf, aus dem eine kräftige „Wolkenfontäne“ gen Himmel steigt. Noch im Moment der fotografischen Aufnahme wird sie vom Wind erfasst und davon getragen.

 

Die Motivreihe bietet auf ungewöhnliche Weise Anlass, die Schönheit des Wattenmeers mit seinen vielfältigen Farb- und Lichtspielen zu zeigen. Und doch evozieren die „Abbilder“  aufgrund der technoid wirkenden „Explosionen“ und des vom Künstler inszenierten, künstlichen Arrangements auch ein diffuses Gefühl der Bedrohung – des überlebenswichtigen Lebensraums.

 

Für seine Fotoreihe „In Elements“ hat sich Sjoerd Knibbeler mit technischen Möglichkeiten befasst, die auf die steigende Erwärmung unseres Planeten reagieren könnten. Genauer gesagt, hat sich der Künstler von der Wissenschaft der sogenannten stratosphärischen Aerosol-Einspritzung (SAI) inspirieren lassen. Diese Technologie sieht vor, u.a. Kalziumkarbonat in die Stratosphäre, die zweite Schicht der Erdatmosphäre, einzubringen. Dort sollen die Aerosole das Sonnenlicht streuen und es so in Teilen daran hindern, in zerstörerischer Weise auf die Lebensräume unseres Planeten einzuwirken.

 

Knibbeler hat das in seiner Experimentreihe im Föhrer Watt in stark verkleinertem Maßstab mit einfachen Mitteln sehr eindrucksvoll nachgestellt.

 

 

Vor dem Eintreffen von Knibbelers Assistentin Yentl van Toledo hilft die Autorin dem Künstler beim Versuchsaufbau im Watt aus

 

 

Bislang werden in der Wissenschaft derart drastische Eingriffe in den Naturkreislauf wie das SAI nur theoretisch erörtert. Die Diskussion über die Effektivität unter den Wissenschaftler*innen ist aufgrund möglicher Risiken kontrovers. Wie ein jüngst publizierter Artikel aus dem Wissenschafts­magazin „MIT Technology Review“ zeigt, handelt es sich um ein Thema, das nicht länger nur in Wissenschaftler*innenkreisen verbleibt und verbleiben sollte.

 

Der Beitrag ist online abrufbar unter:

https://www.technologyreview.com/2021/03/31/1021479/harvard-geoengineering-balloon-experiment-sweden-suspended-climate-change/

 

Um was geht es in dem Artikel im Wesentlichen? Im Esrange Space Center in Kiruna, Schweden, sollte unlängst ein Ballon aufsteigen. Er sollte zu Testzwecken Ausrüstung für zukünftige Experimente im Bereich des Solar Geoengineerings in die Stratosphäre bringen. Es ging also um eine Probe im Vorfeld der eigentlichen Versuche, durch die man die Potenziale und Risiken solcher Technologien besser verstehen möchte. Mit dabei war David Keith, Professor für angewandte Physik an der Harvard University und eine führende Persönlichkeit auf dem Gebiet der Klimaforschung.

 

Das Unternehmen in Schweden wurde jedoch durch einen Ausschuss der Harvard University gestoppt. Das 2019 gegründete Komitee hat die Aufgabe, Experimente wie diese auch auf ethische Aspekte hin zu prüfen. Es geht darum, die Bevölkerung miteinzubeziehen, Aufklärung zu leisten und auf geäußerte Bedenken zu reagieren. Denn derer gibt es einige, vor allem mit Blick auf die bislang kaum absehbaren klimatologischen und biologischen Folgen solcher Eingriffe. Befürchtet wird aber auch, dass die Technologie politisch als Freifahrtschein herhalten könnte: Es könnte unnötig erscheinen, sich beim Energieverbrauch weiterhin zurückhalten oder den Kohlenstoffausstoß zu senken, wenn die Erderwärmung quasi rückgängig gemacht werden kann.

 

Sjoerd Knibbeler kennt diese Einwände natürlich. Persönlich hofft er, dass SAI nie zum Einsatz kommen muss. Als Künstler nimmt er sich jedoch die Freiheit, genau darauf bezogen zu arbeiten, zu experimentieren,  Zukunftsbilder zu entwerfen und Öffentlichkeit zu schaffen.

 

Der Niederländer schätzt transparente Fakten, sachkundige Analysen und das offene Abwägen von Pro und Kontra. Polarisierende Debatten sind nicht seine Sache. Seine künstlerische Arbeit eröffnet ihm Möglichkeiten, komplexe Themen „in den Griff“ zu bekommen. Uns wiederum können seine Fotografien einfach gefallen. Oder sie machen neugierig und animieren uns gar, uns ein eigenes Bild zu machen – von einem Thema, das uns alle angeht.

Sjoerd Knibbeler hat im Rahmen der Vorbereitungen für seine auf Föhr entstandenen Fotoarbeiten „In Elements“ mit David Keith gesprochen und den Wissenschaftler interviewt. Das Interview finden Sie im gleichnamigen Ausstellungskatalog. Der Katalog ist für 34 € im MKdW-Shop erhältlich.

 

Sie können die Ausstellung „Sjoerd Knibbeler. In Elements“ auch online in unserem virtuellen Rundgang anschauen. Sie befindet sich in Saal 5: MKdW-3D

 

 

Ausstellungsansicht "Sjoerd Knibbler. In Elements", Foto: Lukas Spörl

 

 

Dr. Pia Littmann, MKdW, Wissenschaftliche Ausstellungskoordinatorin und gemeinsam mit dem Künstler Sjoerd Knibbeler Kuratorin der Ausstellung „In Elements“.