Von Trachten und Matrosen Großprojekt Sammlung Digital

Über 900 Kunstwerke demnächst für alle! Ein Gemälde von Julius Exner als Beispiel für die über 900 Werke, welche nach und nach in den Online-Sammlungs-Katalog fließen werden.

 

Eine Stube auf der Insel Fanø. Es herrscht ausgelassene Stimmung. Ein junger Matrose spielt auf dem Akkordeon. Er beugt sich zu einem Mädchen hinüber, welches sich von ihm abwendet und ihre Ohren mit den Händen bedeckt. Ihre Schwestern beobachten die Szene halb lachend, halb geniert. Drei andere Männer, die gerade noch im Begriff waren sich zuzuprosten, wenden sich schmunzelnd der jungen Frau zu. Auf dem Boden spielen zwei Kinder, der Junge scheint gedankenverloren, das Mädchen blickt beinahe verständnislos zum Tisch. Die Mutter ist gemeinsam mit einer weiteren Tochter damit beschäftigt, aus einer angrenzenden Kammer Geschirr in die Stube zu tragen.

 

Das, in aller Kürze, ist die recht lebhafte Szenerie auf dem 1884 entstandenen Gemälde „Matrosen auf Landgang zu Besuch bei guten Freunden“ von Johann Julius Exner (1825-1910). Im Netz sucht man Informationen zu dieser 91 x 135 cm großen Interieurdarstellung vergeblich. Wie hilfreich also, wenn sie bald neben zunächst rund 80 von insgesamt über 900 weiteren Gemälden, Ölskizzen, Grafiken, Fotoarbeiten, Skulpturen und Videoarbeiten aus dem Bestand des MKDW über die Website mkdw.de als Teil des neuen Online-Bestandskatalogs für jeden einsehbar sein wird.

 

 

Johann Julius Exner, Matrosen auf Landgang zu Besuch bei guten Freunden, 1884, 91 x 135 cm, Museum Kunst der Westküste.

 

 

Hinter den Kulissen läuft die Arbeit am Online-Katalog bereits seit Monaten auf Hochtouren. Auch ich durfte während der letzten Wochen Begleittexte für insgesamt sechs Werke aus der Sammlung des MKdW schreiben. Dabei lag mein Augenmerk vor allem auf den Arbeiten Johann Julius Exners, einem Genremaler aus Kopenhagen, der heute nur noch wenig bekannt ist, sich zu Lebzeiten jedoch großer Beliebtheit beim dänischen Bürgertum erfreute. Die Werke des Dänen scheinen wie aus dem Leben gegriffen – und sind doch Bilder einer heilen Welt, die es so nie gab. Um diesen scheinbaren Widerspruch sowie Exners damaligen Erfolg zu verstehen, lohnt sich ein Blick in die Geschichte seines Heimatlandes.

 

Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts war eine Zeit großer Gegensätze für Dänemark: Zum einen durchlebte das Königreich mit dem sogenannten Goldenen Zeitalter eine Phase der künstlerischen und kulturellen Blüte. Doch zeitgleich kam es auch zu großen territorialen Verlusten, wie etwa die Trennung von Norwegen, welches noch bis 1814 ein wichtiger Teil des dänischen Königreichs gewesen war, jedoch in Folge der Napoleonischen Kriege an Schweden abgetreten werden musste.

 

Diese Neuordnung der Verhältnisse erzwang die Suche nach einer neuen dänischen Identität. Wie auch in zahlreichen anderen europäischen Ländern, wurde die Frage nach nationalen Werten laut. Die Künstler begannen, nach typisch dänischen Motiven zu suchen und immer öfter fanden sie diese in den Bildgattungen der Landschafts- und Genremalerei. Insbesondere das Landleben und die dort gepflegten Traditionen erweckten das nationalromantische Interesse.

 

Das erkannte auch Johann Julius Exner. Der 1825 in Kopenhagen geborene Künstler wollte ursprünglich Historienmaler werden, entschied sich dann jedoch, sein Glück mit der deutlich beliebteren Genremalerei zu versuchen. Nachdem er von 1839 bis 1842 an der Königlichen Kunstakademie in Kopenhagen studierte – zu seinen Lehrern zählte auch Christoffer Wilhelm Eckersberg (1783-1853), welcher als einer der bedeutendsten Maler des dänischen Goldenen Zeitalters gilt – begann er auf jährlichen Reisen sein Heimatland zu erkunden und in Gemälden festzuhalten. Ab 1877 verschlug es ihn schließlich regelmäßig auf die dänische Nordseeinsel Fanø.

 

 

 

Johann Julius Exner in seinem Atelier, Illustrierte Zeitung, November 1910.

 

 

Auf seinen dort entstandenen Bildern fallen dem nicht auf Fanø beheimateten Betrachter vor allem die Fanniker Trachten ins Auge – Trachten, die auf Fanø heute noch zu besonderen Anlässen getragen werden, denn ebenso wie die Föhrer pflegen auch die Fanniker eine lebendige Trachtentradition. Die Feinheiten eben dieses Brauchtums sind für Außenstehende jedoch nicht immer ganz ersichtlich. So gibt es Trachten für jede Gelegenheit, vom Kirchgang bis zum Erntefest. Ehe ich mich versah, verbrachte ich einen ganzen Tag meiner Recherchen über den Künstler damit, mir dänisch-sprachige Texte über all diese kleinen Variationen durchzulesen, die Arbeits- von der Alltagstracht unterscheiden zu lernen und schließlich auch eine kleine Übersicht über das so gesammelte Wissen zusammen zu stellen.

 

Schon damals muss die Breite an Tradition eine gewisse Faszination ausgeübt haben, denn Exner zog es immer wieder nach Fanø – zu unserem Glück, denn alle Werke Exners, die sich im Besitz des MKdW befinden, sind dort entstanden. Sie alle haben eines gemeinsam: Den sehnsuchtsvoll verklärten Blick auf das Leben der dänischen Landbevölkerung, dessen scheinbare Natur- und Traditionsverbundenheit das städtische Bürgertum begeisterte. Die tatsächlichen, oft beschwerlichen Lebensumstände auf dem Land finden sich auf Exners Bildern nicht – denn es war die Idee des Ländlichen, nicht dessen Wirklichkeit, welche sich bei den Bürgern in der Stadt gut verkaufte.

 

So steht hinter jedem einzelnen Werk in der Sammlung des Museums Kunst der Westküste eine kunst- und kulturhistorische Geschichte. Der Online-Katalog des Museums wird Ihnen bald eine ganz eigene Spurensuche ermöglichen!

 

 

Luka E. Timm,

Student der Angewandten Literatur und Kulturwissenschaften, TU Dortmund,

Praktikant am MKDW im September/Oktober 2020

 

 

Freuen Sie sich auch auf die weitere Fertigstellung des Projekts? Klasse, unterstützen Sie unser Projekt Online-Bestandskatalog des MKdW doch mit Ihrer kleinen oder großen Spende, denn insgesamt belaufen sich die Kosten für einen deutsch-englischsprachigen Katalog auf über 100.000 Euro. Es hilft jeder Beitrag: JA ICH WILL DAS PROJEKT UNTERSTÜTZEN

 

 

Literaturhinweise:

Allgemeines Künstlerlexikon - Internationale Künstlerdatenbank Online. In: https://db.degruyter.com/databasecontent?dbid=akl&dbsource=%2Fdb%2Fakl

El-Bira, Mona, “Poesie des Heims. Zum Interieur in der dänischen Malerei“.  In: Howoldt, Jens; Gaßner, Hubertus (Hg.): Dänemarks Aufbruch in die Moderne. Die Sammlung Hirschsprung von Eckersberg bis Hammershøi, Hamburg 2013

„Fanødragten. En dragt til enhver lejlighed.“ In: http://www.mitfanoe.dk/index.php/da/fanos-historie/folkeliv/fanodragt/15...

Monrad Møller, Marie-Louise, „Kalkulierte Idylle. Anfänge der dänischen Nationallandschaft“. In: Bertsch, Markus (Hg.): Im Licht des Nordens. Dänische Malere der Sammlung Ordrupgaard, Köln 2019

Sitt, Martina;  Ricke-Immel, Ute (Red.), Angesichts des Alltäglichen. Genremotive in der Malerei zwischen 1830 und 1900. Aus dem Bestand des Kunstmuseums Düsseldorf im Ehrenhof mit Sammlung der Kunstakademie NRW, Köln 1996